Dieser Artikel entstand Ende 2016 für ein Print Magazin:
1. Früher waren One- und Zero-Struter verzweifelte Versuche, originell zu sein. Immer wieder haben Konstrukteure versucht, die teuren Querstreben zu reduzieren. Dann kam der Trip von Naish, und manche Kiter waren geradezu verliebt. 2 Jahre später schickte North den Mono ins Rennen, und nun versucht es RRD mit null Struts. Was, glaubst Du, reitet die Kitemarken, das Chassis immer stärker zu reduzieren?
Pioniere bei Experimenten mit weniger Struts waren wie so oft kleine Firmen, wie z.B. Boardriding-Maui (BRM) die 2012 einen kleinen Hype mit ihren Strutless Kite Cloud auslösten. Als erster serienmäßiger One-Struter wurde schon 2011 der Airrush One released. Weitere Marken folgten und sprangen auf den Zug auf.
Die SLE-Tubekite Entwicklung ist schon recht ausgereift und wir befinden uns in der Phase der Spezialisierung. Bei den echten Allroundern ist der Gesamtkompromiss schon so gut, dass man eine Eigenschaft fast nur noch verbessern kann, wenn man auf eine andere verzichtet, sich also spezialisiert. Als Beispiele, für einen Wavekite hohe Drehfreude auf Kosten der Leistung. Oder bei extrem Race Hochleister Foilkites reine Leistung, mit Abstrichen beim Drehen, Relaunch etc..
Genauso ist eine andere spezialisierte Ausrichtung leichtes Gewicht, wie bei Strutless Tubekites, wobei teilweise Nachteile in anderen Eigenschaften in Kauf genommen werden.
Die Herausforderung an die Entwickler und auch die Gefahr ist es keine reinen Inselbegabungen zu schaffen. Also Produkte die nur eine Sache gut können, und der Rest hinter einem Allrounder zurückbleibt. Wie gut das jeweils gelungen ist, zeigen hoffentlich die Tests in diesem Heft.
Der Airush One, als Pionier 2011, wurde übrigens inzwischen wieder aus der dem Portfolie genommen, nur Airush wird die Gründe genau kennen.
1.1 Chancen und Potentiale von Zero- und One-Strut Kites:
– Leichtes Gewicht
Klar dass weniger Struts weniger wiegen. Man muss jedoch im Detail nachwiegen, wenn stattdessen viele Latten verbaut werden wie beim Naish Trip, oder viel Dacron im Obersegel wie beim North Mono vorne und hinten, wo man dabei am Ende herauskommt.
– Fluggrenze des Kites bei weniger Wind
Ein leichter Kite steht früher stabil stationär in der Luft. Gerade am seitlichen Windfensterrand ist irgendwann die Grenze erreicht wann er sein Eigengewicht nicht mehr tragen kann und abstürzt.
Früher hat die Fluggrenze kaum interessiert, da man mit Twintips ohnehin nicht unter sagen wir 9kn fahren konnte. Wen interessiert da ob ein Kite bei 5kn stabil fliegt?
Der Gamechanger heißt hier: Hydrofoilen!
Hier kann man schon in so wenig Wind fahren, dass es DAS entscheidende Kriterium ist, ob der Kite stabil am Himmel bleibt.
In diesem Kriterium sind große Vorteile von leichten Kites spürbar, egal ob One-Struter oder leichte Foilkites.
– Weniger Fly-Down durch das leichtere Gewicht (Schiebe-Gier-Moment durch Eigengewicht):
Jeder SLE-Kite nach Stand der Technik hat die Tendenz am seitlichen Windfensterrand nach unten zu fliegen. Umso stärker, je schwerer das Eigengewicht, je weiter vorne der Schwerpunkt (v.a. Tubes), und je weiter hinten die projizierte Seitenfläche, also die gepfeilten Tips sitzen. Ein leichter Strutless Kite wird daher immer angenehm wenig Fly-Down Tendenz aufweisen, was ich als Komfort-Merkmal sehe.
– Kleines Packmaß
Gut für’s Reisegepäck! Oder gar eine Handgepäck Kiteausrüstung zusammen mit einem Splitboard.
– Geringere Produktionskosten:
Ist selbsterklärend.
– Einfachheit
Die einfachste Lösung für eine Problemstellung ist oft die Beste.
Zero- oder One-Strut Kites sind sicher die einfachste Ausrüstung zum Kitesurfen, die die Basis-Anforderungen erfüllt, und hat daher auf jeden Fall eine Daseinsberechtigung. Mit Basis-Anforderungen meine ich z.B. Relaunchbarkeit, Depower, Stabilität etc..
1.2 Risiken, Probleme und Herausforderungen von Zero- und One-Strut Kites:
– Flattern im depowerten Zustand:
Ein 5 oder gar 7 Struter ist auch im obersten Windbereich, weit depowert, noch mechanisch so gut ausgesteift, dass er recht wenig flattert.
Ein Strutless Kite kann zwar auch sehr viel Depower haben, flattert aber im oberen Depowerbereich fröhlich vor sich hin. Das muss nichts Schlimmes sein, als Sicherheitsbereich bei auffrischendem Wind absolut ausreichend, aber definitiv nicht mehr der „sweetspot“ des Kites.
Wer also gerne Überpowert rausgeht um 10m+ big airs zu springen, ist sicherlich nicht gut mit einem Strutless Kite bedient.
Wer dagegen gerne im unteren Windbereich mit Hydrofoil herum cruiset, wird es genießen!
– Flattern des kurvenäußeren Tips in Turns
Hier merkt man die fehlenden Struts meist deutlich, zumindest bei allen Zero- und One-Strut Kites die ich bisher geflogen bin. (Airush One, Boardriding Maui Cloud, Airush Lithium Zero, Liquid Force Solo 1, 2, North Mono, meine selbst konstruierten Prototypen mit einer oder keiner Strut.)
Dieses Kriterium hat m.M.n. der North Mono bisher am besten hin bekommen.
– Bargefühl:
Oft ist flatterndes Tuch an der Bar zu spüren, z.B. bei Turns im kurvenäußeren Tip.
Das kann hier Nachteile im Barfeeling hervorrufen.
– Relaunch mit Wasser hinter der Fronttube
Bei Kites mit Struts ist das Wasservolumen was hinter die Fronttube laufen kann begrenzt. Z.B. kleine Wellen schwappen gerne dahinter. Bei einem Strutless Kite kann sich hier nach und nach eine riesige Wassertasche bilden. Ich hatte anfangs Bedenken ob das überhaupt lösbar ist, und habe es bei den ersten Strutless Kites gezielt getestet. Mit positiver Überraschung, sofern der Wind reichte, konnte man über einen Relaunch über die Seite mit einer Steuerleine das Wasser zu einer Seite ablaufen lassen! Kann etwas dauern, aber geht meist. Nur bei richtig wenig Wind kann das ein Problem werden, eine einzelne Strut wirkt hier sicherlich vorteilhaft.
– Relaunch aus „face-to-face“ Position (wie Parkposition)
Ein Strutless Kite legt sein Obersegel in dieser Position komplett flach, und es sind nur noch die Tipenden zu sehen.
Gibt es eine Wiederauferstehung?
Ja, gibt es! Es braucht manchmal etwas Zeit, aber keine Angst, keine 2000 Jahre!
Dieser Punkt ist ebenfalls mit einer einzelnen Strut zu verbessern.
– Falten hinter der Vorderkante, saubere Aerodynamik
Bei SLE Kites nach Stand der Technik wird die Last v.a. über die Vorderkante in das auftriebserzeugende Obersegel geleitet. Dafür muss die Kraft von den Anknüpfpunkten diagonal nach hinten ins Obersegel fließen. Das ist prädestiniert Zugfalten zu verursachen, v.a. wenn man keine Struts zum Aufspannen dieses Bereichs hat. Zwar kann man mit modernen Tensioning Methoden und angepassten Profilen die Lage verbessern, schwierig ist es aber allemal, und hat sicherlich z.B. Naish dazu gebraucht Latten in der Vorderkante ein zu setzen.
Die Obersegelqualität im vorderen Bereich ist aerodynamisch höchst relevant. Unsaubere Falten können hier zu merklichen Einbrüchen im CA führen (Auftriebsbeiwert, „Power“), oder auch (back-) Stall-Neigung hervorrufen.
Noch kritischer wird dieser Bereich nach Alterung und vielen Crash. Viele Kites verlieren hier durch Falten Einiges ihrer Flugleistungen. Ganz sicher ist das der Grund warum North am Mono so viel Dacron im Vorderkanten Bereich einsetzt. Natürlich auf Kosten des Gewichts.
– “Power” evtl. verringert (= CAmax, max. Auftriebsbeiwert):
Wenn man z.B. gegen das Flattern im Kurvenflug am Tip recht flache Profile mit wenig Wölbung einbaut, geht das natürlich auf Kosten des CAmax.
Weniger Auftrieb in den Tips verändert zudem die Gleichgewichtsbedingungen im Kite, und kann als Folge eine rundere inflight Kappenkurve mit sich bringen, ob gewollt oder nicht. Das reduziert die projizierte Fläche und damit zusätzlich das CAmax.
Beide Effekte können dazu führen, dass das Lowend hinter stärker gewölbt profilierten z.B. 5 Strut Kites mit mehr Streckung und flacherer Kappenkurve (projizierte Fläche) zurückbleibt.
– „Leistung“ evtl. verringert (= Gleitzahl, Auftriebs- zu Widerstands Verhältnis)
Traditionell baut man keine hoch gestreckten Kites als strutless Version, sondern basiert sie lieber auf weniger gestreckten Outlines. Das alleine führt schon zu etwas weniger Gleitzahl. Zudem bricht bei Strutless Kites depowert die Gleitzahl durch Flattern stärker ein.
1.3 Gewichtsvergleich
Jetzt mal die Zahlen auf den Tisch, und zwar speziesübergreifend!
Wie schwer pro Quadratmeter sind die verschiedenen Kite Typen über die wir hier sprechen wirklich?
Diese Auswahl geht quer durch alle Kite Bauformen um die Unterschiede zu zeigen.
Das ultraleichteste Kite Konzept sind gebridlete Single-Skins wie der Flysurfer Peak, jedoch leider nicht wasserstartbar. Der Strutless Cloud ist in seiner neusten Version im Flächengewicht sogar noch minimal leichter als die leichtesten Foilkites, Elf Joker, Ozone Chrono1 und Flysurfer Speed4 Lotus.
Dass Zero- und One-Strut Kites nicht zwangsläufig leicht sind, zeigen der Liquid Force Solo 2: er liegt im Flächengewicht sogar schwerer als ein Flysurfer Boost 2 LW mit 5 Struts!
3. Warum werden Drei-, Zwei- oder gar Nullstruter von vielen Mittelklasse-Kitern als sehr angenehm empfunden? Sie vermitteln, so hört man immer wieder, auch ein „Sicherheitsgefühl”?
Das lässt sich über die Depowercharakteristik der Kite durchaus erklären:
Wenn ein Single-Skin Profil depowert flattert, erzeugt er mehr Widerstand, die Gleitzahl sinkt dann. Die Gleitzahl entscheidet darüber wie schnell ein Kite in der Powerzone wird, und welche Zugspitzen er dort aufbaut.
Eine niedrige Gleitzahl depowert führt also zu der bzgl. Sicherheit sehr positiven Situation, dass man einen Kite auch mitten in der Powerzone extrem depowern kann und nie ungewollt weggerissen wird.
Diese Sicherheits-Eigenschaft ist auch bei dem gebridleten Single-Skin Kite Flysurfer Peak deutlich zu spüren. Extrem gut für Einsteiger geeignet. Auch manche Wavekites gehen in ihrer Depowercharakteristik in diese Richtung.
Das genaue Gegenteil sind Race Hochleister Foilkites: sie sind dafür gemacht auch depowert eine hohe Gleitzahl zu behalten, um Rennen zu gewinnen. Solche Kites kann man durch depowern in der Powerzone nicht tot stellen. Sie bauen hier immer noch viel Fahrtwind auf, der hohe Zugspitzen hervorruft.
4. Konstrukteure, die einen wirklich quirligen Schirm bauen wollen, haben sich vom Fünfstruter verabschiedet. Was passiert aerodynamisch bei den Turns an den abgemagerten Kites?
Es ist ein weit verbreiteter Volksglaube, dass ein Kite mit weniger Struts automatisch besser dreht. In Wirklichkeit ist die Ursache eher in der umgekehrten Reihenfolge zu finden:
Besseres Drehen findet man eher in weniger gestreckten Kites mit runderen Kappenkurven. Diese eigenen sich besser sie mit weniger Struts aus zu statten.
Ein gestreckter Hochleister mit 5 Struts wird auch durch weglassen der Struts nicht besser im Drehen, höchstens leichter im Gewicht.
Ich möchte jeden zum Selbstversuch ermuntern:
Klemmt doch beim Aufpumpen eures 3 oder 5 Strut Kites versuchsweise die Tip Struts ab, so dass sie nicht aufgeblasen werden.
I.d.R. wird man dabei mehr flatterndes Tuch im Kurvenflug spüren. Die Drehcharakteristik ändert sich meist hin zu weniger Fluggeschwindigkeit durch einen Loop, durch den zusätzlichen Widerstand des flatternden Tuchs. Die Drehgeschwindigkeit an sich ändert sich i.d.R. nicht, nur die Charakteristik und das Bargefühl.
7. Werden die normalen Kites, die sich nicht auf der Rennstrecke beweisen müssen, bald maximal 3 Struts haben?
Es haben ja heute schon ein großer Teil der viel verkauften Kites 3 Struts, wie z.B. F.one Bandit, Slingshot Rally, RPM, North Neo, Ozone Catalyst/Enduro, Naish Pivot, u.v.a..
Ich kenne keine offiziellen Zahlen, vermute aber dass der Anteil etwa 50%/50% zwischen 3-Strutern und 5-Strutern liegt.
Der Hydrofoil Hype bietet einen perfekten Nährboden für leichte Zero- und One-Strut Kites sowie Foilkites.
Da die meisten Leute aber ihren Kite in verschiedenen Einsatzbedingungen und auf verschiedenen Boards benutzen möchten, ist meine Einschätzung, dass die meistverkauften Mainstream Modelle bei 3 bis 5 Struts bleiben werden.